Was ist Plattformökonomie - und warum trifft sie den Immobilienmarkt jetzt?
Stell dir vor, du kannst in ein Wohngebäude in Hamburg investieren, ohne einen Makler zu kontaktieren, ohne einen Vertrag zu unterschreiben und ohne einen Cent in Bar zu zahlen. Du klickst einfach auf eine App, wählst ein Projekt aus und gibst 500 Euro ein. Fertig. Das ist keine Science-Fiction. Das ist Plattformökonomie im Immobilienmarkt. Und sie verändert, wie wir kaufen, vermieten, verwalten und investieren - langsam, aber sicher.
Plattformökonomie bedeutet: Digitale Marktplätze verbinden Menschen, die etwas anbieten, mit denen, die es brauchen. In der Immobilienwelt sind das Eigentümer, Mieter, Investoren, Handwerker, Energieberater - alle auf einer digitalen Bühne. Die Plattformen sorgen dafür, dass diese Gruppen sich finden, kommunizieren und transaktionsfähig werden. Sie sind nicht nur Websites mit Mietangeboten. Sie sind lebendige Netzwerke, die durch mehr Nutzer immer wertvoller werden. Je mehr Mieter auf einer Plattform sind, desto mehr Eigentümer kommen. Je mehr Investoren dabei sind, desto mehr Projekte werden angeboten. Das ist der Netzwerkeffekt. Und er ist der Motor hinter allem.
Warum gibt es noch keine Amazon oder Airbnb der Immobilienbranche
In anderen Branchen hat eine Plattform den Markt erobert. Amazon für den Handel, Airbnb für Ferienwohnungen, Uber für Fahrdienste. Die Gewinner nehmen alles - Winner-takes-all. Doch im deutschen Immobilienmarkt? Noch nicht. Warum?
Weil Immobilien komplex sind. Eine Wohnung ist nicht wie ein Buch oder ein Taxi. Sie hat eine Adresse, einen Zustand, einen Mieter, eine Heizung, eine Abrechnung, einen Vermieter, eine Baugenehmigung, einen Energieausweis. Und jeder Schritt ist rechtlich geregelt. Die DSGVO, das Maklerrecht, das Wohnungseigentumsgesetz - das macht es schwer, eine einfache App zu bauen, die alles abdeckt.
Auch die Akteure sind fragmentiert. Es gibt über 120 digitale Plattformen in Deutschland, aber keine hat mehr als 15 Prozent Marktanteil. ImmobilienScout24 ist bekannt, aber es ist noch immer nur ein Portal mit Angeboten. Es verbindet nicht Mieter und Handwerker. Es vermittelt nicht Energieverträge. Es macht keine Datenanalyse für Mieterhöhungen. Es ist kein echter Plattform-Anbieter - zumindest noch nicht.
Die echten Plattformen der dritten Generation - wie facilioo, Realconnex oder Exporo - versuchen das zu ändern. Sie verbinden mehrere Seiten: Eigentümer, Mieter, Dienstleister, Investoren. Sie integrieren Smart-Meter-Daten, verwalten Abrechnungen, ermöglichen Crowdfunding für Immobilien. Sie bauen ein Ökosystem auf. Und genau das ist der Schlüssel zum Winner-takes-all-Effekt.
Die ersten Winner-takes-all-Signale: Digitaler Immobilieninvestments
Der Bereich, in dem Winner-takes-all-Effekte bereits spürbar werden, ist das digitale Immobilien-Crowdinvesting. Hier investieren Privatleute ab 500 Euro in Wohnungsbauprojekte - über Plattformen wie Exporo, Bergfürst oder PROPVEST.
Exporo ist der Marktführer in Deutschland. Es hat weniger als 10 Prozent der verfügbaren Projekte im Angebot, aber über 80 Prozent der Investitionen. Warum? Weil es die größte Nutzerbasis hat. Weil es die einfachste App hat. Weil es die meisten Erfolgsgeschichten vorweisen kann. Und weil Investoren sich auf eine Marke verlassen, die sie kennen. Das ist der Netzwerkeffekt in Aktion: Je mehr Geld hier fließt, desto mehr Projekte kommen - und desto mehr Investoren kommen.
Die Zahlen sprechen eine klare Sprache: 2020 wurden in Deutschland 255 Millionen Euro über digitale Plattformen in Immobilien investiert. 2023 waren es deutlich mehr. Die Wachstumsrate liegt bei über 14 Prozent pro Jahr. Und die Top-3-Plattformen kontrollieren bereits über 60 Prozent des Volumens. Das ist kein Zufall. Das ist ein Muster, das wir aus anderen Branchen kennen.
Und hier liegt die Gefahr: Wenn nur drei oder fünf Plattformen den Markt dominieren, dann werden kleine Anbieter ausgestoßen. Die Gebühren steigen. Die Auswahl sinkt. Die Transparenz leidet. Das ist nicht nur ein wirtschaftliches Problem - das ist ein demokratisches Problem. Wer bestimmt, welche Projekte finanziert werden? Wer entscheidet, welche Immobilien wertvoll sind? Die Algorithmen der Plattformen.
Was passiert hinter den Kulissen? Die Technik, die die Branche verändert
Plattformen wie facilioo, die von ista betrieben wird, sind kein einfacher Online-Katalog. Sie sind digitale Betriebszentralen für Immobilien. Sie verbinden Zählerdaten mit Abrechnungen. Sie planen Wartungstermine automatisch. Sie senden Erinnerungen an Mieter, wenn die Heizung gewartet werden muss. Sie ermöglichen es, dass ein Handwerker direkt über die App ein Angebot erhält - und der Vermieter es genehmigt, ohne E-Mail-Wechsel.
Das ist nicht nur bequem. Das ist effizient. Ein mittelständisches Immobilienunternehmen mit 8.000 Wohnungen braucht durchschnittlich 6 bis 9 Monate, um eine solche Plattform einzuführen. Danach sinken die Verwaltungskosten um bis zu 30 Prozent. Die Mieterzufriedenheit steigt. Die Instandhaltung wird proaktiv statt reaktiv. Das ist echter Mehrwert.
Aber hier kommt die Kehrseite: Die Lernkurve ist steil. Ältere Nutzer, oft Vermieter mit 60+, kommen mit der Technik nicht klar. Die Handbücher sind schlecht. 78 Prozent der befragten Unternehmen im IW-Köln-Bericht sagten: Die Dokumentation passt nicht zu unseren Prozessen. Die Support-Zeiten variieren: Exporo verspricht 4,2 Stunden Antwortzeit - aber Nutzer berichten von 48 Stunden bei komplexen Fragen. Das ist kein Service. Das ist ein Risiko.
Und dann ist da noch die KI. Plattformen sammeln Daten: Mietverläufe, Heizverbrauch, Renovierungsbedarf, Mieterwechsel. Mit KI können sie vorhersagen, wann eine Wohnung leer steht, wann ein Mieter auszieht, wann eine Renovierung sinnvoll ist. Das ist mächtig. Aber es ist auch gefährlich. Wer kontrolliert diese Daten? Wer darf sie nutzen? Wer entscheidet, wer ein guter Mieter ist?
Wer gewinnt - und wer verliert?
Die Gewinner sind klar: Große Immobilienkonzerne. 82 Prozent von ihnen nutzen bereits digitale Plattformen. Sie haben die Ressourcen, die IT-Teams, die Budgets. Sie nutzen Plattformen, um ihre Portfolios zu optimieren, ihre Kosten zu senken, ihre Mieterbindung zu erhöhen.
Die Verlierer? Kleine Vermieter. Die, die nur drei Wohnungen besitzen. Die, die keinen IT-Support haben. Die, die nicht wissen, wie man eine digitale Abrechnung einrichtet. Für sie steigen die Gebühren. ImmobilienScout24 hat die Plattformgebühren in fünf Jahren um 35 Prozent erhöht. Für kleine Anbieter wird es teurer, auf der Plattform zu sein - und sie werden von den großen Akteuren verdrängt.
Auch Mieter verlieren. Wenn Plattformen nur noch die profitabelsten Projekte anbieten, dann verschwinden günstige Wohnungen aus dem Angebot. Wenn Algorithmen entscheiden, wer ein „guter“ Mieter ist, dann werden Menschen mit geringem Einkommen oder ausländischem Pass benachteiligt. Die digitale Welt hat keine Rücksicht auf soziale Ungleichheit.
Und was ist mit den Handwerkern? Sie werden zu Dienstleistern auf der Plattform - mit festen Preisen, strengen Vorgaben und geringer Preisgestaltungsmacht. Sie verlieren die direkte Beziehung zum Kunden. Sie werden zu einem Kostenfaktor in einem Algorithmus.
Die Zukunft: Fragmentierung oder Konzentration?
Die Immobilienbranche steht an einem Scheideweg. Entweder bleibt sie fragmentiert - mit hunderten kleinen Plattformen, die sich auf Nischen spezialisieren: eine für barrierefreies Wohnen, eine für Studentenwohnungen, eine für Energieeffizienz-Renovierungen. Oder sie konsolidiert sich - und es entstehen drei bis fünf dominierende Player, die alles kontrollieren.
Die Zeichen deuten auf Letzteres. Im Jahr 2023 haben sich Immofred und Realconnex zusammengeschlossen. facilioo hat eine Partnerschaft mit ista geschlossen, um eine offene Plattform für die gesamte Branche zu bauen. Exporo hat seine Nutzerbasis verdoppelt. Die Investitionen steigen. Die Technologie wird besser. Die Regulierung hinkt hinterher.
Die DSGVO, das Maklerrecht, das Bauträgerrecht - sie sind nicht auf Plattformen ausgelegt. Sie sind für Papierakten und persönliche Gespräche gemacht. Aber die digitale Welt bewegt sich schneller. Wer wird die Regeln schreiben? Die Politik? Die Plattformen? Die Investoren?
Ein Punkt ist sicher: Plattformen, die nur eine Seite des Marktes bedienen, scheitern. Das sagt Prof. Markus Breuer von der Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin. Wer nur Vermieter anspricht, aber keine Mieter hat, stirbt. Wer nur Investoren hat, aber keine Projekte, stirbt. Wer nur Handwerker vermittelt, aber keine Immobilien, stirbt. Die echten Gewinner sind die, die alle Seiten verbinden - und die Netzwerkeffekte nutzen.
Was bedeutet das für dich als Eigentümer, Mieter oder Investor?
Als Eigentümer: Du musst dich entscheiden. Willst du auf einer großen Plattform sein - mit mehr Sichtbarkeit, aber höheren Gebühren und weniger Kontrolle? Oder bleibst du lokal, mit persönlichem Kontakt, aber weniger Mieter? Die Wahl ist nicht leicht.
Als Mieter: Du bekommst mehr Transparenz. Du kannst sehen, wie viel Energie deine Wohnung verbraucht. Du kannst den Handwerker direkt buchen. Aber du wirst auch mehr überwacht. Dein Zahlungsverhalten, deine Kommunikation, deine Anfragen - alles wird gespeichert. Wer nutzt diese Daten? Das ist deine Frage.
Als Investor: Du kannst jetzt in Immobilien investieren, ohne 50.000 Euro aufzutreiben. Aber du musst dich fragen: Wer steht hinter dem Projekt? Ist es ein echtes Unternehmen? Oder nur eine Plattform, die mit KI-Prognosen spielt? Lies die Dokumente. Prüfe die Historie. Und vergiss nicht: Was gut klingt, ist nicht immer sicher.
Die Plattformökonomie ist kein Trend. Sie ist eine Umwälzung. Sie wird nicht über Nacht passieren. Aber sie wird passieren. Und wer jetzt nicht versteht, wie sie funktioniert, wird später nur noch Zuschauer sein - und nicht Teilnehmer.