Stellen Sie sich vor, Ihr Mehrfamilienhaus bekommt eine neue Heizung, Solaranlage und moderne Dämmung - ohne dass Sie einen Cent dafür ausgeben müssen. Kein Kredit, keine Baupläne, keine Wartung. Das klingt wie ein Traum, aber in Deutschland ist das bereits Realität: Energie-Contracting in Mehrfamilienhäusern. Seit den 1990er-Jahren hat sich dieses Modell etabliert, besonders in Städten wie Hildesheim, Berlin oder Tübingen, wo Wohnungsbaugesellschaften und Wohnungseigentümergemeinschaften (WEG) nach Lösungen suchen, die klimafreundlich, kostensparend und einfach zu handhaben sind.
Was ist Energie-Contracting wirklich?
Energie-Contracting ist kein einfacher Liefervertrag. Es ist ein ganzheitliches Dienstleistungsmodell, bei dem ein externer Anbieter - der Contractor - alles übernimmt: Planung, Finanzierung, Installation, Betrieb und Wartung von Energieanlagen. Der Gebäudeeigentümer oder die WEG zahlt nicht für die Anlage, sondern für die Energie, die sie verbrauchen. Der Contractor wird rechtlicher Eigentümer der Anlagen - Solarpanels, Blockheizkraftwerke, Wärmepumpen - und trägt das Risiko, wenn etwas schiefgeht.Das bedeutet: Sie als Eigentümer müssen sich nicht um Genehmigungen kümmern, nicht um Förderanträge bei der KfW, nicht um Reparaturen. Sie bekommen einfach eine stabile, günstige Energieversorgung - und am Ende der Laufzeit steht oft eine modernisierte Immobilie, die mehr Wert hat.
Drei Hauptmodelle - welches passt zu Ihrem Haus?
Nicht jedes Energie-Contracting ist gleich. In Deutschland haben sich drei Modelle durchgesetzt, die sich in Verantwortung, Risiko und Finanzierung unterscheiden.- Energieliefer-Contracting (ELC): Das ist das häufigste Modell. Der Contractor installiert und betreibt die Anlage - meist Photovoltaik oder ein Blockheizkraftwerk - und liefert Strom und Wärme direkt an die Mieter. Er verlangt einen Festpreis pro kWh, der niedriger ist als der Marktpreis, aber höher als die reine Betriebskosten. Der Vorteil: Sie zahlen nichts für die Anlage, aber profitieren von stabilen, oft günstigeren Energiekosten. Ein Beispiel: Das Projekt in Tübingen mit 13 Gebäuden und 230 kWp Solarleistung. Die Mieter beziehen Solarstrom vom Contractor, der den Überschuss ins Netz einspeist.
- Betriebsführungs-Contracting: Hier übernimmt der Contractor die Anlage, aber die Mieter beziehen den Strom weiterhin von einem herkömmlichen Stromlieferanten. Der Contractor agiert als Dienstleister hinter den Kulissen. Ein bekanntes Beispiel ist das Dolgensee-Center in Berlin-Lichtenberg: SOLARIMO betreibt die Solaranlage, aber der Strom wird unter der Marke "Quartier-Strom" der GEWOBAG an die Mieter verkauft. Dieses Modell ist attraktiv, wenn die WEG Wert auf eine eigene Marke legt.
- Einspar-Contracting (ESC): Hier geht es nicht nur um Energieerzeugung, sondern um Energieeinsparung. Der Contractor analysiert das gesamte Gebäude - Heizung, Dämmung, Fenster, Lüftung - und verspricht eine bestimmte Menge an Energieeinsparung. Wenn die Einsparung nicht erreicht wird, zahlt der Contractor den Unterschied. Das Risiko liegt vollständig bei ihm. Ideal für ältere Gebäude mit hohem Sanierungsbedarf.
Was kostet das - und wer zahlt was?
Viele Eigentümer denken: Wenn ich nichts zahle, dann ist es kostenlos. Aber das ist falsch. Der Contractor muss seine Kosten decken: Anschaffung, Finanzierung, Wartung, Versicherung, Verwaltung. Diese Kosten fließen in den Preis pro kWh, den die Mieter zahlen.Ein typischer Energieliefer-Contracting-Vertrag hat einen Grundpreis und einen Arbeitspreis. Der Grundpreis deckt die Fixkosten, der Arbeitspreis die verbrauchte Energie. Im Vergleich zu einem normalen Gasheizvertrag ist der Preis pro kWh höher - aber oft niedriger als der aktuelle Marktpreis für Strom und Wärme. Warum? Weil moderne Anlagen effizienter sind und die Energie vor Ort erzeugt wird - keine langen Transportwege, keine Netzgebühren.
Ein Beispiel: Ein Mieter in einem 1970er-Jahr-Bau zahlt vorher 120 Euro im Monat für Heizung und Strom. Nach Energie-Contracting mit Solar und Wärmepumpe zahlt er 95 Euro. Der Contractor verdient durch den Preisunterschied, der Mieter spart, und das Gebäude wird grüner. Und nach 15 Jahren? Dann gehört die Anlage dem Gebäude - und die Betriebskosten fallen fast auf Null.
Photovoltaik und Mieterstrom - der große Vorteil
Photovoltaik auf Mehrfamilienhäusern ist heute das Standardprojekt für Energie-Contracting. Die Dächer sind groß, die Sonneneinstrahlung gut, und die Mieter können direkt von der eigenen Solaranlage profitieren. Das nennt man Mieterstrom.Früher war das schwierig: Mieter konnten keinen eigenen Stromvertrag abschließen, weil sie nicht Eigentümer waren. Heute ist das durch das Mieterstromgesetz geregelt. Der Contractor baut die Anlage, vermarktet den Strom an die Mieter und organisiert die Einspeisung des Überschusses. Die Mieter bekommen einen günstigeren Strompreis - oft bis zu 20 % unter dem Markt - und die WEG erhält eine zusätzliche Einnahmequelle.
Ein wichtiger Punkt: Der Mieterstrom wird nicht über das öffentliche Netz geliefert, sondern direkt vor Ort verbraucht. Das reduziert Netzlast und macht die Versorgung stabiler. In Projekten wie in Tübingen oder Hannover werden bis zu 60 % des Strombedarfs durch Dach-PV gedeckt. Das ist ein großer Schritt Richtung KfW-Effizienzhaus 55.
Blockheizkraftwerk (BHKW) - für große Gebäude
Ein BHKW erzeugt gleichzeitig Strom und Wärme - und das mit hoher Effizienz. Für Einfamilienhäuser lohnt es sich kaum, weil der Verbrauch zu gering ist. Aber in Mehrfamilienhäusern mit 10 oder mehr Wohnungen? Da wird es interessant.Beim BHKW-Contracting übernimmt der Contractor alles: vom Brennstoff (meist Biogas oder Erdgas) bis zur Wartung. Der Contractor legt einen Festpreis für Strom und Wärme fest. Der Vorteil: Die Wärme wird nicht verschwendet, wie bei konventionellen Heizungen. Sie wird genutzt - und der Strom wird direkt vor Ort verbraucht. Das spart bis zu 30 % Energie im Vergleich zu getrennter Erzeugung.
Ein BHKW in einem 20-Wohnungen-Haus in Hildesheim liefert jährlich 120.000 kWh Wärme und 45.000 kWh Strom. Die Betriebskosten liegen 15 % unter dem Marktpreis. Nach 18 Jahren übernimmt die WEG die Anlage - und hat ein eigenes, zuverlässiges Kraftwerk.
Rechtliche Hürden - wer darf was entscheiden?
Hier liegt der größte Knackpunkt: Ein einzelner Mieter kann keinen Contracting-Vertrag abschließen. Es ist eine Entscheidung der Eigentümer. Bei Mietwohnungen muss der Vermieter zustimmen. Bei Wohnungseigentum braucht es die Zustimmung der Wohnungseigentümergemeinschaft - meist mit einer Mehrheit von 50 % oder mehr, je nach Satzung.Und was passiert mit den Betriebskosten? Wenn der Vermieter von einer Gasheizung auf Contracting umstellt, darf er die Betriebskosten im ersten Jahr nicht erhöhen - das schreibt § 556c BGB vor. Danach kann er die Kosten umlegen, aber nur, wenn sie realistisch sind und durch die Wärmelieferverordnung gedeckt sind. Wichtig: Der Mieter muss über den Vertrag informiert werden, und die Kosten müssen transparent aufgeschlüsselt sein.
Ein häufiger Fehler: Vermieter denken, sie können einfach einen neuen Vertrag unterschreiben - ohne die Mieter einzubeziehen. Das führt zu Rechtsstreitigkeiten. Die beste Methode: Eine Mieterinformationsveranstaltung, ein transparenter Vergleich der alten und neuen Kosten, und die Einbindung der WEG von Anfang an.
Risiken - was kann schiefgehen?
Energie-Contracting klingt perfekt - aber es gibt Fallstricke.- Vertragslaufzeit: 15 bis 20 Jahre sind normal. Was, wenn Sie das Haus verkaufen wollen? Der Vertrag läuft weiter - und der neue Eigentümer muss ihn übernehmen. Das kann den Verkauf erschweren, wenn der Käufer kein Contracting will.
- Technologischer Stillstand: Wenn der Contractor eine veraltete Technik einbaut, zahlt er nicht für den Nachrüstungsaufwand. Stellen Sie sicher, dass der Vertrag technische Mindeststandards enthält - etwa Mindestwirkungsgrade für PV oder BHKW.
- Preisbindung: Der Festpreis ist oft attraktiv - aber was, wenn die Strompreise fallen? Dann zahlen Sie mehr als nötig. Ein guter Vertrag enthält eine jährliche Anpassungsklausel, die an Inflation oder Energiepreise gekoppelt ist.
- Contractor-Insolvenz: Wenn der Contractor pleitegeht, bleibt die Anlage - aber wer betreibt sie? Der Vertrag sollte vorsehen, dass ein Ersatzcontractor übernommen wird oder die WEG die Anlage übernimmt.
Ein guter Vertrag ist kein Standardformular. Er muss individuell auf das Gebäude zugeschnitten sein - mit klaren Leistungsbeschreibungen, Wartungsplänen, Strafen bei Nichterfüllung und einem transparenten Abrechnungssystem.
Wann lohnt sich Energie-Contracting?
Es lohnt sich, wenn:- Das Gebäude mindestens 8-10 Wohnungen hat
- Die Dächer ausreichend Platz für Solaranlagen bieten
- Die Heizung älter als 15 Jahre ist
- Die WEG oder der Vermieter keine Kapazität für Bauprojekte hat
- Die Mieter bereit sind, einen leicht höheren, aber stabileren Energiepreis zu zahlen
Es lohnt sich nicht, wenn:
- Das Gebäude nur 2-3 Wohnungen hat
- Die Dächer stark verschattet sind
- Die Mieter gegen eine Vertragsverlängerung sind
- Die WEG bereits eine eigene Energiekooperative hat
Was kommt als Nächstes?
Energie-Contracting ist kein Trend - es ist die Zukunft des Wohnungsbaus. In den nächsten fünf Jahren wird es in Deutschland noch stärker wachsen, besonders in Städten mit hohem Mietanteil. Die KfW fördert solche Projekte mit Zuschüssen, und die Bundesregierung will bis 2030 80 % der Gebäude klimaneutral machen.Die Technik wird besser: Batteriespeicher, intelligente Steuerung, KI-gesteuerte Energieverteilung - alles wird in neue Contracting-Modelle integriert. Wer jetzt einsteigt, profitiert von den ersten Mover-Vorteilen: niedrigen Kosten, hohen Förderungen und einem modernen Gebäude, das sich leicht verkaufen lässt.
Die Entscheidung ist nicht einfach - aber sie ist wichtig. Denn wer heute nicht handelt, zahlt morgen mehr - für Energie, für Sanierung, für Rechtsstreitigkeiten. Energie-Contracting ist kein Luxus. Es ist die vernünftige Wahl für jeden, der ein Mehrfamilienhaus besitzt und langfristig denken will.